Das Verbot des CV-Philisterzirkel "Buchonia" und die Gründung des Kegelvereins
Von der Auflösung der katholischen Studenten- und Akademikerverbände am 20. Juni 1938 durch die Nationalsozialisten wurde auch der Cartellverband katholischer deutscher Studentenverbindungen betroffen.
So verfiel nach nahezu 50-jährigem Bestehen der CV-Philisterzirkel "Buchonia" der Auflösung, und die gut 100 CVer schienen im Jahre 1938 in alle Winde zerstreut zu sein. Daß dem nicht so war und das Schlimmste abgewendet werden konnte, ist dem Mut einiger Cartellbrüder zu verdanken, die in der Gründung eines Kegelclubs die Chance sahen, das Verdikt Heinrich Himmlers zu unterlaufen. Sie verfolgten die Absicht, den Zusammenhalt der im nunmehr verbotenen Philisterzirkel "Buchonia" vereinigt gewesenen CVer, Alte Herren und Aktive, organisatorisch zu wahren, einen Ort der Begegnung zu schaffen, um altbewährte Freundschaften aufrechtzuerhalten und weiterhin zu pflegen, kurz, den CV in Fulda nicht untergehen zu lassen. Überhaupt suchte damals so mancher, mit Tricks zu retten, was zu retten war. Relativ vielen Korporationen gelang es, in der Illegalität ihren ",Betrieb" noch eine Weile weiterzuführen oder doch zumindest den Kontakt unter den Bundesbrüdern aufrechtzuerhalten. Winfridia Breslau (CV) hatte beispielsweise ihr Haus an einen ihrer Alten Herren verkauft, der es dann an das Rote Kreuz vermietete. Dessen Leiter war aber ebenfalls ein CVer, und so fanden weiter hinter verschlossenen Türen regelmäßig als "italienischer Sprachkurs" getarnte Zusammenkünfte statt. In Innsbruck wurde sogar noch 1940 eine neue CV-Verbindung, die Alpinia, gegründet.
In nur wenigen Sätzen wird in der Festschrift zum 75-jährigen Jubiläum im Jahre 1967 über eines der bedeutsamsten Kapitel der Geschichte des CV-Philisterzirkels "Buchonia" berichtet. Gern würde man aus dem Munde von Zeitgenossen etwas mehr über die näheren Umstände der Auflösung des Altherrenverbandes und der Gründung eines Sportvereins als Tarnorganisation erfahren; doch darüber könnten nur die Gründungsmitglieder des CV-Kegelclubs zuverlässig, weil aus eigenem Erleben, Auskunft geben. Leider sind, außer Cbr Dr. Goswin Krämer, inzwischen alle verstorben! 1967 wäre es vermutlich noch möglich gewesen, von diesen zu erfahren mit welchen Risiken es 1938 verbunden gewesen ist, ein ausdrückliches Verbot der Nationalsozialisten zu mißachten, und in welche Gefahr sich ein notwendigerweise enggezogener Kreis von "Buchonen" damals begeben hat, der seine gewohnten wöchenttichen Zusammenkünfte am CV-Stammtisch auf der Kegelbahn fortsetzte. Bedauerlicherweise ist dies unterblieben und damit, freilich unbewußt, auf Detailwissen verzichtet worden, das sicherlich wertvolle Hinweise enthalten hätte, wie hoch der passive Widerstand einzustufen ist, den aus heutiger Sicht eine Gruppe Fuldaer CVer damals zweifelsfrei geleistet hat.
Da die Ausführungen über den Kegelclub "Buchonia" in der o. a. Festschrift aus der Feder des Verfassers stammen - als Zeitzeuge und Gründungsmitglied des Kegelclubs hat Cbr. Dipl. Ing. Hanns Hodes dabei mitgewirkt -, sollen sie wörtlich übernommen werden. "In engem Kreise, geschart um Prof. Dr. Weber, den damaligen Regens des Priesterseminars, kam der Gedanke auf, das seit den 20-er Jahren geübte Kegeln zum Ansatz zu nehmen, als Kegelclub getarnt, die "Buchonia" weiterzuführen. Die Zahl der Getreuen war nicht groß, die sich nach dem Verbot der Korporationen und Altherrenverbände seit 1938 montags in der "Kapp", dem "Gasthaus zum Goldenen Anker" am Horaser Weg, regelmäßig traf. Es war ein fester Freundeskreis, der in einem Kegelclub die Möglichkeit sah, die Verbindung zu dem Bundesbruder und Cartellbruder aufrechtzuerhalten über die familiären Beziehungen hinaus, die damals mehr als heutzutage gepflegt wurden.
Um den "Kleinen Philisterzirkel" nach außen hin als "Sportverein" erscheinen zu lassen, nahm man Persönlichkeiten in den Kegelclub auf, die dem CV nicht angehörten, so den Bankdirektor Dörr und den Stukkateurmeister Otto Nüchter, der die Kasse verwaltete und Vergleichskämpfe mit anderen Fuldaer Keglern arrangierte. Die Kegelbahn in der "Kapp" wurde für den Philisterzirkel "Buchonia" der Ort der "inneren Emigration"! Alle, die sich dort einmal in der Woche zusammenfanden, waren sich einig in der Ablehnung nationalsozialistischen Gedankengutes.
Mit dem Kriegsausbruch schmolz die Mitgliederzahl dieses CV-Freundeskreises immer mehr zusammen, so daß das Kegeln während des Krieges schließlich eingestellt werden mußte (1892 - 1967. 75 Jahre Philisterzirkel "Buchonia" i. CV, S. 6). Nach der Auflösung des CV-Philisterzirkels "Buchonia" lag vermutlich der Gedanke nahe, das seit Jahren unabhängig von dem wöchentlichen CV-Stammtisch in der "Harmonie" durchgeführte Kegeln fortzusetzen und in einem kleinen Kreis von politisch zuverlässigen Cartellbrüdern den Zusammenhalt untereinander zu wahren. Freilich war es aus Sicherheitsgründen notwendig, für einen offiziell zu begründenden Kegelclub Mitglieder zu gewinnen, die dem CV nicht angehörten. Der "Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei" hatte die Mißachtung seines Auflösungs-Erlasses mit schwerer Strafe bedroht! Ein Kegelbuch und zwei weitere Dokumente, die von Cbr Dr. Walter Becker dankenswerterweise verwahrt und gehütet worden sind, geben Aufschluß über das Gründungsjahr des Kegelclubs und weisen ihn als "eingetragenen Verein" aus. Es handelt sich um das erste und offenbar einzige Kegelbuch nach der Gründung des Kegelclubs 1938 bis zu seiner Wiederbegründung im Jahre 1949.
Enthalten sind ein Mitgliederverzeichnis und Eintragungen für jeden Kegelabend vom 28. Juli 1938 bis zum 18. August 1939 mit den jeweils anwesenden Kegelbrüdern und Gästen, CVern und Nicht-CVern sowie Gattinnen von Kegelbrüdern. Die Mitglieder des Kegelclubs sind im Kegelbuch in nachstehender Reihenfolge vermerkt:
Leider läßt sich heute nicht mehr ermitteln, wer von den genannten Gründungsmitgliedern bereits vor dem Verbot der Allherrenverbände am Kegeln im Bürgerverein teilgenommen hatte und wer erst nachher dem neu ins Leben gerufenen Kegelclub "Buchonia" beigetreten ist. Alle Gaste, die sich gelegentlich auf der Kegelbahn in der , "Kapp" einfanden, sind im Kegelbuch verzeichnet:
Die Zusammenkünfte auf der Kegelbahn sind sicher höher zu bewerten als eine angenehme Abwechslung im beruflichen Alltag oder eine bloße sportliche Betätigung. Sie dienten vielmehr der Begegnung mit Gleichgesinnten, der Pflege der cartellbrüderlichen Freundschaft in schwerer Zeit. Erwähnt wird im Kegelbuch eine Fahrt nach Hünfeld im Dezember 1938. Mit zwei Einladungen des "Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen, Gau Hessen" beziehungsweise des "Vereins Fuldaer Kegler e.V." zu einer Besprechung am 1. 6. 1938 und zur Jahreshauptversammlung Am 20. 4. 1939 läßt sich belegen, daß der Kegelclub "Buchonia" dem Deutschen Kegelbund angehörte und den überzeugten CVern als Tarnorganisation diente, um dem Verbot zum Trotz weiterhin Freundschaft, Meinungsaustausch, Geselligkeit pflegen und Sport betreiben zu können.
Wie aus einem handschriftlichen Vermerk auf der Einladung des "Vereins Fuldaer Kegler e. V." zu schließen ist, waren offenbar nur fünf Mitglieder beim Deutschen Keglerbund gemeldet, und zwar mit Dr. Josef Westenberger, Dr Rudolf Klüber, Dr. Hermann Muth. Dr. Josef Lingemann vier CVer und mit Otto Nüchter ein Nicht-CVer. Nur für diese fünf sollte nämlich Dr. König das "Verbandsgeld" zahlen. Beweis genug, wie notwendig und nebensächlich zugleich für "Buchonia" die Mitgliedschaft beim Deutschen Keglerbund gewesen sein muß!
Das erste Kegelbuch - ein zweites hat es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weder vor noch während des Zweiten Weltkrieges gegeben - bricht mit dem 18.8.1939 abrupt und kommentarlos ab Es wurden keinerlei Eintragungen mehr vorgenommen! Mit Gewißheit ist dies mit dem tragischen Verkehrsunfall am 24. 8.1939 zwischen Langenbieber und Niederbieber zurückzuführen und hängt wohl auch mit dem Kriegsausbruch am 1. 9. 1939 zusammen.
Auf der Rückfahrt von einem Familienausflug der "Buchonen" nach Langenbieber mit gemütlichem Beisammensein im "Hotel Biebertal" verungl&uuuml;ckten die Cartellbrüder Dr. Klüber, Dr. Schlitzer und Dr. König mit Gattin tödlich. Das schwere Unglück brachte tiefes Leid über die betroffenen Familien und löste große Trauer unter den Fuldaer CVern aus, insbesondere im Kegelclub. Dr König und Dr Klüber gehörten dem Kegelclub als Mitglieder an, und Dr. Schlitzer hatte häufiger als Gast am Kegeln teilgenommen.
Mit Dr. König hatte "Buchonia" seinen Schriftführer verloren und hat vermutlich unter dem niederschmetternden Eindruck des erschütternden Ereignisses fortan auf jedwede Autzeichnung verzichtet. Wie anders ließe es sich erklären, daß das vorhandene Kegelbuch nicht weitergeführt wurde!
Es liegt auf der Hand, daß der Beginn des Zweiten Weltkrieges nur wenige Tage nach dem Unglücksfall im Biebertal einschneidende Rückwirkungen auf die Mitgliederzahl des Kegelclubs gehabt haben muß. Wann das Kegeln in der "Kapp" völlig eingestellt und die Zusammenkünfte der "Buchonen" auf den familiären Kreis beschränkt worden sind, liegt im dunkeln. 16 der 17 Gründungsväter und die Gäste des CV-Kegelclubs sind tot, und Cbr. Dr. Goswin Krämer wurde kurz vor Kriegsausbruch zur Wehrmacht einberufen und ist deshalb über das Schicksal des Kegelclubs während des Zweiten Weltkrieges nicht unterrichtet. Fest steht, daß der "Kleine Philisterzirkel", als Kegelclub "Buchonia" getarnt, die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland nicht überdauert hat.
Den Gründungsvätern "Buchoniae" kommt das große Verdienst zu, den grundsatztreuen CVern Fuldas und des Fuldaer Landes einen Ort der Begegnung gesichert zu haben. Sie haben den Mut bewiesen, das Verbot des CV-Philisterzirkels zu ignorieren, und verdienen für ihre aufrechte Haltung, die damals auch unter CVern nicht selbstverständlich war, hohen Respekt, Dank und Anerkennung! Sicherlich ist es nicht zuletzt auf das in der Zeit der Unterdrückung gewachsene Zusammengehörigkeitsgefühl zurückzuführen, daß sich Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg die "Kegler" von ehedem fast ausnanmslos erneut zusammenfanden und den CV-Kegelclub "Buchonia" wiedergründeten, der die folgenden Jahrzehnte überdauert hat.
Gründungsmitglieder des CV-Kegelclubs "Buchonia" 1938
Ludwig Vey (PM)